Raus aus der Moralfalle

 

Wie soll die radikale Linke mit den Rechten und ihren Erfolgen umgehen? Dazu erschienen in der konkret zwischen Ende 2017 und Anfang 2018 mehrere Artikel . Die verschiedenen Autoren waren zum weit überwiegenden Teil der Auffassung, dass es sich bei allen Rechten um Nazis handele, bei denen sich eine Frage des Umgehens gar nicht stelle. Da meine Kritik an dieser Ausrichtung in der konkret  nur stark gekürzt und unter dem merkwürdigen Titel "Wir müssen reden" veröffentlicht wurde, im Folgenden eine längere Fassung als im Heft.

 

 

 

 

 

Mit „besorgten Bürger“ mal in Ruhe reden? Oder die Rechten als Nazis demaskieren? Kritik einer Scheinalternative von Rüdiger Mats

 

 

 

An der durch bürgerliche Medien geisternden Vorstellung, man müsse die Sorgen „besorgter Bürger“ ernster nehmen, lässt die bisherige konkret-Debatte über den Umgang mit der Rechten kein gutes Haar - und das zu Recht. Stattdessen, so ist zu lesen, müssten Nazis Nazis genannt werden. Zu welchem politischen Zweck man das aber tun sollte, bleibt weitgehend unklar.

 

Analytisch könnte so eine Demaskierung die Linke sogar voranbringen. Allerdings müsste dafür das quantitative, inhaltliche und strategische Verhältnis zwischen Nazis, sonstigen Faschisten und der übrigen Rechten in Deutschland unter die Lupe genommen werden. Welchen strategischen Sinn es aber haben könnte, sich allein auf das Benennen von Nazis zu kaprizieren, war in den vielen Beiträgen nicht einmal Thema. Einzige Ausnahme: Michael Schilling, der eine Pflicht zum Nazis Benennen in konkret 1/2018 damit begründet, dass wenn die radikale Linke laut genug „Nazi!“ rufe, der bürgerliche Staat sich irgendwann erinnern werde, dass er Naziorganisationen verbieten müsse. Ob Schilling das ernst meint? Ich weiß es nicht.

 

Nazis sind eine konkrete Bedrohung für konkrete Menschen, selbst dort, wo sie eine Minderheit sind. Vor Ort kann man in dieser Hinsicht nur auf die Antifa hoffen oder, wenn die zu schwach ist, notgedrungen auf die Polizei. Auf der Suche nach Strategien gegen gesellschaftliche Dominanz der Rechten (die wiederum die Nazis stärkt) geht es für die Linke aber gar nicht in erster Linie um Nazis:

 

Erstens sind nicht alle Rechten Nazis, nicht mal alle Funktionäre der AfD. Das meine ich nicht als Kompliment. Immerhin kann nur in der AFD sein, wer mit Nazis kein großes Problem hat. Aber ein Teil der AFD‘ler möchte es machen wie Reichskanzler von Papen 1932/33, nur erfolgreicher. Und wenn man über den auch kaum genug Schlechtes sagen kann – ein eigentlicher Nazi war er nicht. Moralisch bedeutet dieser Befund keinen großen Unterschied, strategisch aber schon, denn die politische Entwicklung wird davon abhängen, inwieweit das bürgerliche Spektrum, das sich mit Nazis derzeit nicht gemein machen will, Konzepte der AfD für anschlussfähig hält. Insofern sind die Meuthens gefährlicher als die Höckes, und die inflationäre Verwendung des Begriffs Nazi, gespeist aus der illusionären Hoffnung auf Skandalisierbarkeit, lenkt vom Hauptproblem ab.

 

Zweitens wäre schon viel gewonnen, wenn nicht noch mehr Leute Nazis würden; um das zu erreichen darf man sich nicht auf diejenigen konzentrieren, die schon welche sind. Als Nazi wird man ja nicht geboren. Nicht alle, die 1938 Nazis waren, waren schon 1933 welche, und 1923 schon mal gar nicht; viele, die heute (noch) keine Nazis sind, können es in zehn Jahren sein. Dabei geht es oft gar nicht um einen Weg von Gut nach Böse, sondern oft nur um den Unterschied zwischen schlimm und Massenmord, aber das ist ja ein durchaus wichtiger Unterschied. Hermann L. Gremlitza hat Recht, wenn er in konkret 11/2017 darauf hinweist, dass Rechtswerden etwas mit Autoritärem Charakter zu tun hat, dessen Konstitutionsbedingungen auf absehbare Zeit jenseits linksradikalen Einflusses liegen. Doch ob diese autoritären Charaktere bloß nervige Nachbarn und Kollegen sind (bzw., auch das gibt es ja, autoritär strukturierte Genossen) oder ob sie auf die Idee kommen, einen autoritären Staat zu wollen und Menschen umzubringen, ist ein wichtiger Unterschied. Hier ist die jeweilige gesellschaftliche Lage von Bedeutung, und auf die kann die Linke Einfluss nehmen.

 

Drittens geht es auch um die Haltung derjenigen, die aus irgendwelchen ideologischen Gründen keine Nazis werden wollen – aber trotzdem rechts handeln. Bisher waren Faschisten, die regieren wollten, immer auf die Unterstützung von Nichtfaschisten angewiesen. Diese Leute halfen als Koalitionäre, als pflichtbewusste Beamte und tapfere Militärs, das faschistische Programm auch dort in die Tat umzusetzen, wo nicht alle Funktionsstellen mit Faschisten zu besetzen waren. Klaus Theweleit hat deshalb zwar Recht, wenn er in konkret 1/2018 feststellt, dass Nazis, die z.B. Einwanderer ermorden oder ermordet sehen wollen, zur Zeit eine kleine Minderheit sind. Das allein entscheidet aber gar nicht darüber, ob hier irgendwann Nazi-Politik gemacht wird. Darüber entscheidet auch der Anteil von Leuten, die selbst keine Nazis sind, die aber bereit sind, deren Programm praktisch mitzutragen.

 

Drei Gründe also, warum die Feststellung, dass man mit Nazis nicht reden solle, zwar richtig ist, aber am Thema vorbei.

 

 

 

In der konkret-Debatte wird immer wieder betont, dass es gar nicht die ganz Armen, nicht die prekär Beschäftigten, nicht die Arbeitslosen sind, die das Gros der AfD-Wähler und rechten Mitmarschierer stellen. Den „besorgten Bürger“ gebe es deshalb gar nicht. Tatsächlich stammt dieser Ausdruck aus dem Pegida-Dunstkreis und ist ein Propagandamittel. Und „Sorgen“ wie die vor „Umvolkung“ kann man auch nicht „erst nehmen“.

 

Trotzdem sind es Sorgen, die Bürger nach rechts treiben, nur andere als sie selbst denken. Dass Teile der radikalen Linken das leugen, liegt vermutlich daran, dass sie Nazis keine mildernden Umstände zubilligen wollen. Aber das ist ja kein Argument.  Im Kapitalismus haben auch Facharbeiterin und Sachbearbeiter Anlass sich bedroht zu fühlen. Das Grundgefühl der Leute, dass irgendwer ihnen immer ans Leder will, ein Grundgefühl, das auf Basis ihrer Konstitution tendenziell in Gewalt mündet, findet in dieser Gesellschaft immer wieder Futter. Dass es rückblickend so scheint als sei das in irgendeiner guten alten Zeit grundsätzlich anders gewesen, ist eine Verklärung. Existenzangst gehört notwendig zum Kapitalismus.

Wenn das immer so ist, ist der gegenwärtige Aufschwung des „Besorgte-Bürger-Seins“ allein daraus allerdings nicht zu erklären. Für diesen Aufschwung ist entscheidend, dass sich die objektive Prekarität seit einigen Jahren in einem verschärften Krisengefühl ausdrückt: Offensichtlich ist auch in deutschen Leitindustrien kein Job sicher, und Klassenkampf von oben hat die Rentenaussichten auch derjenigen Lohnabhängigen verdüstert, die in Lohn und Brot stehen. Dass die gut laufenden Geschäfte daran nichts ändern, lässt noch den letzten Optimisten ahnen, dass das Problem kein konjunkturelles ist und er nicht auf die Beschwichtigungen bürgerlicher Politiker vertrauen sollte.

 

Vor allem aber ist eine ideelle Kompensation für diese permanente unterschwellige Bedrohtheit nicht mehr so leicht zu bekommen wie noch vor 30 Jahren. An sozialdemokratische Fortschrittsversprechen, die früher mal in ganzen Schichten identitätsstiftend waren, glaubt niemand mehr. Die neoliberale Agitation hat zudem die Nebenwirkung gehabt, dass die Leute inzwischen ahnen, was sie jenseits ihrer Ausbeutbarkeit in dieser Gesellschaft wert sind – nichts. Deutschland wütet zwar wirtschaftlich und militärisch in allen Weltgegenden, aber mit so wenig Tschingderassabum, dass es Nationalistenherzen nicht recht erwärmen will und die Identifikation mit dem Staat und seinen Machtmitteln wenig attraktiv wirkt. Männer können sich nicht mal mehr ernsthaft als verlässliche Familienversorger gerieren. Die Aggressivität, mit der Rechte das Gegenteil behaupten, zeigt, dass sie selbst nicht mehr daran glauben.

 

Wenn also die verqueren „Sorgen“ vieler Bürger eine ihnen unklare reale Grundlage haben: Könnte die Linke hier nicht argumentativ anknüpfen und die falsche Wut vom Weg nach rechts in eine begründete Kritik umlenken? Jeder, der mal versucht hat, einen Sozialdemokraten zur Kapitalismuskritik mitzuschnacken, weiß, dass das nicht nur bei Rechten nicht funktioniert. Der Schritt nach rechts ist mehr affektiv als argumentativ. Er hat eine objektive Grundlage, ist aber irrational. Sein Nutzen liegt auf der Triebebene. Deshalb hat es keinen Sinn, im verständnisvollen Gespräch logische Fehler in nicht vorhandenen Argumentationsketten aufzeigen zu wollen. Und „den“ Rechten, der in einem inhaltlich offenen Raum bereit zum herrschaftsfreien Diskurs wäre, gibt es ebenso wenig wie „den“ Linken, der ihn dort – konform in Look und Sprache, aber hart in der Sache – abholen könnte. Selbst wenn Linke mit klugen Flugblättern alle sächsischen Dörfer abklapperten: Die Reaktion wäre psychische Abwehr und wahrscheinlich körperliche Gewalt. Das soll kein Argument gegen Aufklärung sein. Ohne nachhaltiges Vermitteln von Gesellschaftskritik landet man beim linken Populismus, der meint, sich Zustimmung ergaunern zu können. Doch wenn Leute sich vernünftiger Gesellschaftskritik öffnen sollen, setzt das einen ersten, inneren Schritt nach links schon voraus.

 

Das einzige, was mehr Menschen dazu bringen könnte, sich auf die Linke einzulassen – und zwar im Vorfeld argumentativer Überzeugung -, sind politische Auseinandersetzungen, also das, was Linke manchmal martialisch „Kämpfe“ nennen. Diese Auseinandersetzungen müssten so wahrnehmbar und prägnant sein, dass sie dazu auffordern, sich zu entscheiden, und die Linke müsste in ihnen sichtbar sein als die richtige Seite.

 

Dass der Widerstand gegen die Zumutungen des Kapitalismus in diesem Sinne das beste Mittel ist, um gegen ihn zu agitieren, ist nicht neu. Die linke Praxis hierzulande aber sieht anders aus. Es sind innerhalb der nichtreformistischen Linken nur kleine Minderheiten, die sich – zum Beispiel – mit der Verdichtung von Arbeitsprozessen, Hierarchien im Betrieb, politischer Herrschaft, dem Gesundheitssystem oder dem Gender-Gap bei Löhnen und Renten auseinandersetzen. Genauer: Minderheiten, die das praktisch tun, also nicht in Form von Abhandlungen für ein akademisches Publikum - sondern indem sie sich wehren.

 

Statt dessen tritt die Linke vor allem mit moralischen Statements an: mit – folgenloser - Empörung über staatliche Repression, Solidaritätsadressen an Linke in aller Welt oder eben damit, Nazis „unerschrocken“ und vor allem selbstzufrieden Nazis zu nennen. Mehr als die Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, kommt dabei nicht heraus.

 

Begeben sich Linke doch einmal in gesellschaftliche Auseinandersetzungen, dann wird es schnell karitativ; der akademisch gebildete Radikalinski kämpft meistens gar nicht für sich selbst. Moral aber ist nur für Leute interessant, die gute Menschen sein wollen und sich das auch leisten können. Daraus folgt, dass es, jenseits einer bestimmten psychischen Disposition, zur Zeit überhaupt keine guten Gründe dafür gibt, sich der Linken anzuschließen. Das einzusehen wäre ein erster Schritt.

 

Für die Linke käme es weiter darauf an, politische Auseinandersetzungen voranzutreiben, die sie angehen, weil sie alle angehen, als Lohnabhängige, Frauen, Männer, Untertanen und so weiter. Nicht, weil solche Auseinandersetzungen aus sich selbst heraus aufklärerisch oder gar revolutionierend wirken würden, sondern weil sich hier die Eigenheit und die Überzeugungskraft linksradikaler Vorstellungen von Politik und Gesellschaft erweisen könnten – und müssten. Ob das dazu führte, dass weniger Leute Nazis werden? Es wäre einen Versuch wert.